Die Privatfinanzierung von Straßen in Deutschland ist gescheitert

Umwelt & Energie

Geschichte des Herrentunnels

Der 2005 fertig gestellte Herrentunnel ist der Ersatz für die alte und störanfällige Herrenbrücke. Die Entscheidung für den erheblich teureren Tunnel fiel auf Drängen der lokalen Politik und Wirtschaft, die sich davon „Wachstum“ und „Arbeitsplätze“ versprachen. Aller Kritik zum Trotz stimmte daher auch die Mehrheit von SPD und CDU in der Lübecker Bürgerschaft für den Tunnel. Die Mehrkosten für den Tunnel in Höhe von ca. 90 Millionen Euro – der Tunnel kostete 180 statt ca. 90 Millionen Euro, die eine neue Brücke gekostet hätte – konnten und wollten weder der Bund, noch das Land und schon gar nicht die Stadt Lübeck aufbringen. Die 87,8 Millionen Euro, die der Bund für einen Ersatz der alten Brücke hätte aufwenden müssen, wurden dabei vom Bund als Anschubfinanzierung in Form eines Zuschusses ausgezahlt. Damit hat der Herrentunnel eine deutlich höhere sog. Anschubfinanzierung erhalten, als eigentlich für ein solches Projekt in Public-Privat-Partnership (PPP) üblich – der Zuschuss des Bundes ist ansonsten nämlich auf 20% begrenzt.

Der private Bauträger, die Herrentunnel AG, ein Zusammenschluss der Unternehmen „Hochtief“ und „Bilfinger Berger“ hat das Projekt finanziert und refinanziert es neben dem Bundeszuschuss durch die Erhebung einer Maut. Die Refinanzierungsphase erstreckt sich über 30 Jahre. Laut Betreiber besteht zudem eine Option, dies noch einmal um weitere 10 Jahre zu verlängern, auch sei eine jährliche Mautanpassung vertraglich vereinbart worden. Neben dem Herrentunnel wurde bislang nur noch ein weiteres Projekt auf diese Weise gebaut, der Warnowtunnel bei Rostock. Beide können als gescheitert angesehen werden. In Rostock wurde unlängst die Vertragslaufzeit von 30 auf 50 Jahre verlängert, damit der Betreiber sich über einen längeren Zeitraum refinanzieren kann – zu Lasten der BürgerInnen.

Wirtschaftliche Probleme des Herrentunnels

In Lübeck war man zur Zeit der Planung von einer Nutzungszahl von etwa 37.000 Autos täglich ausgegangen Tatsächlich waren es anfangs gerade einmal rd. 21.000 Fahrzeuge, in der Regel Pendler, für die ein Umweg über die Autobahn zu weit war. Diese Zahl nimmt stetig ab, die Mautkosten sind hingegen erheblich gestiegen. Besonders nach Fertigstellung der „Nordtangente“ dürfte es noch einmal zu einem erheblichen Einbruch bei den täglichen Durchfahrtszahlen kommen. Die Schätzungen liegen hier bei nur noch etwa 14.000 Fahrzeugen täglich.

Die Beteiligten Baukonzerne sehen das Projekt ebenfalls mehr oder weniger als gescheitert an. Bilfinger & Berger schrieb seine Beteiligung im Sommer 2006 komplett ab und sieht es als komplett gescheitert an. Hochtief schrieb “nur” zwei Drittel seiner Beteiligung ab und sieht durchaus noch Chancen, die ursprünglich angepeilte Kapitalrendite von 14% (!) zu erreichen. Hochtief lässt sich dabei aber vermutlich nicht nur von den wirtschaftlichen Interessen an diesem Projekt leiten. Denn Herren- wie Warnowtunnel haben eine große Bedeutung für die Zukunft privater Finanzierungsmodell im Straßenbau für ganz Deutschland. Das offenkundige Scheitern beider Projekte führt dazu, dass diese Projekte bei den Bundesländern, die ein gewichtiges Wort mitzureden haben, noch unbeliebter sind als bislang schon (denn wer will seinen WählerInnen schon “verkaufen”, dass ausgerechnet sie eine Maut für eine Straße zahlen müssen, wenn alle anderen “umsonst” fahren).

Wer nutzt den Herrentunnel

Die Probleme die sich aufzeigen sind vielfältig. Die Brücke ist eine der wenigen Zufahrten aus den nördlichen Stadteilen in Richtung Innenstadt. Infolge dessen sind zahlreiche Menschen, besonders aufs Auto angewiesene Berufspendler, gezwungen, entweder die Brücke zu nutzen oder einen erheblichen Umweg in Kauf zu nehmen. Dies bedeutet also die Wahl zwischen dem Zahlen der Maut

oder einem höheren Kraftstoffverbrauch und einer längeren Fahrtzeit. Ökonomisch wie ökologisch ist dies eine schlechte Alternative.

Ein weiteres Problem ergibt sich für Leute, die ohne PKW oder Bus unterwegs sind. Wer zu Fuß oder mit dem Rad auf die andere Seite der Trave möchte, ist auf den Shuttle-Bus als einzige Verbindung des öffentlichen Verkehrs durch den Tunnel angewiesen. Der Betrieb dieses „Service“ ist jedoch teuer und soll eingestellt werden. Die einzige Alternative hierzu wäre, eine der beiden vorhandenen Röhren für Autos zu sperren und für Fußgänger und Radfahrer freizugeben.

Position zur Privatfinanzierung bei Straßen – allgemein

DIE LINKE ist die Partei Deutschlands, die sich gegen die Privatisierung öffentlicher Dienste und Aufgaben wendet. Deswegen ist es wohl unstrittig, dass DIE LINKE auch jedwede Privatisierung von Straßen ablehnt Eine Mauterhebung für Straßen und Bauwerke, die täglich von Menschen genutzt werden müssen, ist falsch. Deswegen hat die Bundestagsfraktion DIE LINKE anlässlich des offenkundigen Scheiterns der beiden PPP-Projekte im Straßenbau einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht (Gesetzentwurf – 16/04658 – Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes), der zur Folge gehabt hätte, dass keine weiteren Projekte mehr als sog. F-Modell nach diesem Gesetz gebaut werden dürften.

Konsequent wäre es deshalb, die beiden PPP-Projekte in die öffentliche Hand zurückzuholen und das Abenteuer PPP im Straßenbau ein für allemal zu beenden. Dass die amtierende Bundesregierung dieses Anliegen unterstützt, ist allerdings weniger zu erwarten, erst in der Bundestagsdebatte am 14.9. wurde seitens der Koalition die Hoffnung geäußert, demnächst mehr solcher Projekte realisieren zu können. Das erstaunt ein wenig angesichts der Tatsache, dass im Auftrag der Bundesregierung ein “F-Modell-Erfahrungsbericht” erstellt wurde, der seit nunmehr drei Monaten dem Bundestag vorenthalten wird – weil er anscheinend wenig Grund zu einer solchen Hoffnung gibt.

Übernahme des Herrentunnels durch den Bund

Der Vorschläge die Mautpflicht nur für Anwohner im Umkreis von 10 Kilometern zu erlassen, würde zwar die Symptome, also die Belastung der meisten betroffenen Pendler “kurieren”, würde das “Übel” an sich aber bestehen lassen. Außerdem ist es fraglich, ob das rechtlich überhaupt möglich ist, weil dadurch eine bestimmte Bevölkerungsgruppe begünstigt würde, wogegen andere klagen könnten. Aus unserer Sicht führt deswegen kein Weg daran vorbei, dass der Tunnel in die Hand des Bundes übergeht und von diesem Mautfrei betrieben wird. Denn eine Übernahme durch die Hansestadt Lübeck ist nicht zuletzt aufgrund der finanziellen Situation der Stadt keine Option, da jährliche Kosten von über einer Millionen Euro ins Haus stünden. Bei Beibehaltung der Mautpflicht würde diese Summe durch Betriebs-, Instandhaltungs- und Peronalkosten auf etwa drei Millionen Euro jährlich ansteigen. Eine Summe, die angesichts der jetzigen und der zu erwartenden Nutzungszahlen nicht gegenfinanziert werden könnte. Auch das Land steht finanziell mit dem Rücken zur Wand.

Bei einer Übernahme durch den Bund sind zwei wesentliche Bedingungen zu beachten:

1. Bund ist nicht zuständig

Vertragspartner ist die Hansestadt Lübeck, nicht der Bund. Der Tunnel befindet sich demzufolge in der Baulast Lübeck, der Bund ist also nicht “zuständig” – und wird genau das sicher auch vorbringen, wenn Lübeck oder Schleswig-Holstein mit dem Anliegen der Übernahme an ihn herantreten werden. Deswegen sollt Lübeck unverzüglich Gespräche mit der Landesregierung darüber aufnehmen, wie das “Problem Herrentunnel” entschärft werden kann. Land und Stadt müssten dann in Verhandlungen gegenüber dem Bund an einem Strang ziehen.

Da aber der Bund nicht gezwungen werden kann, den Tunnel zu übernehmen, muss die Landesregierung dem Bund etwas dafür anbieten. Dieses Angebot kann nur lauten, dass die Kosten, die dem Bund durch die Übernahme entstehen würden, an anderer Stelle eingespart werden. Dazu muss man wissen, dass aus dem gesamten Investitionstopf des Bundes für Autobahnen und Bundesstraßen jedem Bundesland eine mehr oder weniger feste Quote zusteht. Wenn Schleswig-Holstein dem Bund nun anbieten würde, für die Übernahme des Herrentunnels auf den unsinnigen Weiterbau der A 20 westlich der A 7 zu verzichten und andere Investitionen zeitlich zu schieben, dann wäre es für den Bund zumindest finanziell ein Nullsummenspiel. (Bei einer solchen vollständigen “Verrechnung” der Kosten würde auch der Anreiz für andere Länder zur Nachahmung entfallen. Die Übernahme des Tunnels zusätzlich zu den laufenden Investitionen würde ansonsten dazu führen, dass Schleswig-Holstein insgesamt mehr Mittel erhielte, als ihm nach der Quote zustünden. Damit hätte sich in den Augen anderer “Dreistigkeit” gelohnt. Das könnte dazu führen, dass plötzlich viele Länder PPP-Projekte “haben” wollen, weil sie ja wüssten, dass im Fall des Scheiterns der Bund alle Kosten übernehmen würde.)

2. Betreiberkonsortium muss mitspielen

Grundlage für den Betrieb des Herrentunnels ist ein Vertrag zwischen der Stadt Lübeck und dem Betreiberkonsortium. Jeder Vertrag kann natürlich prinzipiell wieder aufgelöst werden – aber das nur in gegenseitigem Einvernehmen. Außer es gibt im Vertrag eine entsprechende Klausel – das wissen wir nicht – wo der Stadt ein Rückkaufrecht für eine bestimmte Summe zustehen würde. Fraglich ist insofern, inwieweit der Bund überhaupt über den Vertrag verhandeln könnte, wobei dies auch so geregelt werden könnte, dass erst Lübeck über die Rücknahme verhandelt, und den Tunnel dann an den Bund abtritt.

Da die Betreiber ihre Beteiligung ohnehin abgeschrieben haben und wohl nicht mehr mit einem Gewinn aus dem Tunnel rechnen, wäre sie vermutlich sogar froh, wenn sie ihr Pleitenprojekt los wären – dies zeigen auch die Reaktionen auf die Forderung der Bürgerinitiative. Die Betreiber wären aber auch deshalb vielleicht froh, weil sie dadurch vielleicht ihre Verluste oder zumindest einen Teil davon wieder reinholen könnten. Deswegen müssten der Bund bzw. Lübeck sehr hart verhandeln, um den Betreibern nicht den Profit zu bescheren, den sie bei weiterem Betrieb des Tunnels nicht mehr erzielen würden.

Fazit

Der Herrentunnel und mit ihm die Privatfinanzierung von Straßen in Deutschland ist gescheitert. Auch als deutliches bundesweites verkehrspolitisches Signal wäre das offene Eingeständnis dieses Scheiterns durch eine Rücknahme der Tunnel in öffentliches Eigentum die beste Lösung. Da Land und Stadt dies finanziell kaum in der Lage wären zu schultern, sollte der Tunnel letztlich wieder an den Bund übergehen – sie wie sich auch die frühere Herrenbrücke in der Baulast des Bundes befand. Die dem Bund entstehenden Kosten sollten mit anderen geplanten Investitionen vollständig verrechnet werden, so dass dem Bund keine zusätzlichen Ausgaben entstehen. Flankierend zur Forderung nach einer Übernahme des Tunnels durch den Bund muss auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrs gefordert werden – insbesondere durch den dann wieder öffentlichen Tunnel, damit die derzeit von der Maut betroffenen bald nicht nur keine Maut mehr zahlen müssen, sondern vielleicht gar nicht erst mit dem eigenen Pkw fahren müssen.

Lutz Heilmann, MdB Fraktion DIE LINKE – 21. September 2007

Zurück